„Akzeptanz braucht den direkten Austausch“

Ein Wärmenetz, gespeist mit Abwärme aus einem Elektrolyseur, für Neuenbrook? Die 700-Einwohner-Gemeinde in Schleswig-Holstein wollte genauer wissen, ob das machbar und wirtschaftlich wäre. Neuenbrooks Bürgermeister Jürgen Kulp nahm das Projekt Machbarkeitsstudie im Rahmen der Bundesförderung erneuerbare Wärmenetze, kurz BEW (Modul I), beherzt in die Hände und holte das Hamburg Institut mit ins Boot. Ein Gespräch über Pläne, Akzeptanz und Visionen.

Herr Kulp, im Jahr 2024 hat Ihre Gemeinde Neuenbrook mit dem Hamburg Institut eine Machbarkeitsstudie zur Prüfung eines kommunalen Wärmenetzes durchgeführt. Unter anderem wurde die Einbindung eines Elektrolyseurs untersucht, der aus erneuerbarem Strom aus der Nachbarschaft Wasserstoff produziert und die dabei entstehende Abwärme in das Wärmenetz einspeist. Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Studie gewonnen?

Jürgen Kulp: Erkenntnisse gab es auf mehreren Ebenen. Fachlich gesehen sind da zunächst einmal die Antworten auf die Ausgangsfrage der Studie: die Betrachtung der Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit verschiedener Wärmenetz-Optionen in der Gemeinde. Wir wissen jetzt, was geht und was die Realisierung bedeuten würde. Für uns ging es vor allem um Klarheit: Ist unsere Idee umsetzbar? Mit diesem Wissen können wir nun weitere Weichen stellen und Entscheidungen treffen.

Eine weitere Erkenntnis ist eher auf der kommunikativen Ebene angesiedelt und ist nicht neu: Akzeptanz braucht den direkten Austausch. Die Datenerhebung erwies sich im Laufe des Projekts als große Herausforderung, da sind wir dann wirklich von Tür zu Tür und haben die benötigten Informationen eingeholt. Die Gespräche, die sich dabei ergeben haben, waren aber wiederum wertvoll, um unsere Bürgerinnen und Bürger für das Thema Wärmewende zu sensibilisieren, das komplexe Projekt zu erläutern und Fragen oder Bedenken persönlich klären zu können.

Das Thema regenerative Wärmeversorgung ist nachhaltig im Dorf angekommen.

Jürgen Kulp

Wie haben Sie die Stimmung und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen?

Wie so oft bei größeren Veränderungen gab es zunächst Skepsis. Wichtig war daher, Informationsmöglichkeiten zu schaffen und zu zeigen: Wir meinen das ernst. Wir haben eine Arbeitsgruppe für das Thema gebildet, regelmäßig Updates im Dorfentwicklungsausschuss gegeben und auf der Website informiert. Mit jeder Informationsveranstaltung wurde das Wissen – auch dank des Teams vom Hamburg Institut – vor Ort größer und das Interesse wuchs. Heute können wir sagen: Das Thema regenerative Wärmeversorgung ist nachhaltig im Dorf angekommen.

Die Studie liegt nun vor – wie geht es mit dem Projekt weiter?

Auf Basis der Studienergebnisse sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Variante mit der Einbindung des Elektrolyseurs die bevorzugte wäre. Zugleich ist genau dieser der Flaschenhals, da sich der Elektrolyseur nur mit externen Investoren realisieren ließe. Aufgrund vergangener Erfahrungen sind die Vorbehalte in Neuenbrook jedoch groß, was den Einstieg externer Investoren angeht. Und da wichtige Entscheidungen bei uns immer in der Gemeinschaft besprochen und beschlossen werden, setzen wir das Projekt in dieser Form und Größenordnung vorerst nicht um.

Das heißt aber mitnichten das Ende der Bemühungen um eine klimafreundliche Energieversorgung. So war das Projekt zum Beispiel eine große Inspiration für die Gestaltung neuer Baugebiete. Für zwei geplante Neubaugebiete mit Seniorenanlage und Mehrfamilienhäusern haben wir die Wärmeversorgung über ein Nahwärmenetz als Vorgabe im B-Plan vorgesehen. Eine solche Quartierslösung hätten wir ohne die Machbarkeitsstudie wahrscheinlich eher nicht angedacht. Ein besonderer Effekt ist, dass sich jetzt vermehrt Haushalte der Gemeinde für die Installation einer Wärmepumpe und gegen fossile Energieträger entscheiden.

Neuenbrooks Bürgermeister Jürgen Kulp

Wie war die Resonanz außerhalb der Gemeinde?

Als 700-Seelen-Dorf, das ein Projekt dieser Größenordnung ins Visier nimmt, waren wir schon eine kleine Sensation. Wir hatten sehr viele Anfragen aus Nachbargemeinden und stehen im engen Austausch. Ich empfehle Sie da auch ganz offen weiter (lacht), schließlich sind Sie ja den ganzen Weg mit uns gegangen – von der Beratung zu Fördermöglichkeiten über den erfolgreichen Antrag auf BEW-Förderung bis hin zur Durchführung der Machbarkeitsstudie. Wir haben uns da sehr gut aufgehoben und beraten gefühlt, auch mit den sicherlich speziellen Anforderungen, die unsere Dorfstruktur so mit sich bringt.

In die Zukunft geschaut: Wie sieht Ihre Vision für Neuenbrook aus?

Wir wollen ein CO2-freies Dorf werden – das ist das Ziel. Daran werden wir mit unserer lebendigen Dorfgemeinschaft arbeiten. Positive Erfahrungen wie die aus dem Projekt zur klimaneutralen Wärmeversorgung helfen dabei.

Über das Projekt

Die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde Neuenbrook und dem Hamburg Institut begann bereits mit der gemeinsamen Antragstellung für eine BEW-Förderung. Direkt nach der Bewilligung und Förderzusage für 50 Prozent der Kosten begann die Arbeit an der Machbarkeitsstudie. Diese beinhaltete mehrere Bausteine und Arbeitsschritte:
  • Wärmebedarfsermittlung: Dabei wurden die zu versorgenden Gebäude inkl. der aktuellen Wärmeversorgung datenschutzkonform aufgelistet und räumlich dargestellt.
  • Potenzialanalyse: Mögliche regenerative Potenziale und Abwärmequellen in der näheren Umgebung wurden erfasst und ihre Nutzbarkeit sowie der eventuelle Bedarf an Wärmespeichern bewertet. Ein besonderer Fokus der Betrachtungen lag auf der Abwärmenutzung eines neu zu errichtenden Elektrolyseurs.
  • Sollanalyse des Wärmenetzes: In diesem Arbeitsschritt wurden alle Wärmeerzeuger, Übergabestationen und technische Parameter des zukünftigen Wärmenetzes sowie die CO2– und Primärenergieeinsparungen dargestellt. Potenziale und unterschiedliche Varianten der Wärmeversorgung wurden betrachtet und hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Verfügbarkeit untersucht. Ziel war ein vollständig treibhausgasneutrales Wärmenetz.
  • Wirtschaftlichkeitsabschätzung: Schließlich erfolgte eine wirtschaftliche Abschätzung des zukünftigen Wärmenetzes. In dem Zuge wurden die Risiken analysiert und ein Finanzierungskonzept ausgearbeitet.
  • Pfad zur Treibhausgasneutralität: In diesem Schritt wurde aufgezeigt, wie das Wärmenetz bis spätestens 2045 sukzessive vollständig treibhausgasneutral mit Wärme versorgt wird.